cantusplanus.at ist die zentrale Webplattform für die Choralforschung in Österreich. Auf den Websites werden Informationen zu mittelalterlichen Musikhandschriften und nicht notierten Liturgica aus österreichischen Bibliotheken zur Verfügung gestellt. Ausgangspunkt dieses Unternehmens war das Katalogisierungsprojekt Mittelalterliche Musikhandschriften und Fragmente der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB, 2008–2015), mit dem ein Desiderat der mediävistischen Musikforschung in Österreich erfolgreich und umfassend erfüllt werden konnte. Viele zuvor unbekannte Quellen konnten neu erschlossen werden. Für eine nicht geringe Zahl an bereits bekannten Quellen ergänzte man neue Erkenntnisse oder korrigierte ältere. Die Ergebnisse dieser Forschungen bilden die Datengrundlage für cantusplanus.at.


Parallel zur Erschließung des ÖNB-Bestandes dokumentierte man die mittelalterlichen Musikhandschriften in weiteren österreichischen Biblio­theken und Archiven. So entstand eine umfassende online-Datenbank mit etwa 3000 liturgischen und musik-liturgischen Handschriften. Die rudimentären Informationen vermitteln einen ersten Eindruck über Quantität und Qualität des Quellenbestandes in Österreich. Zudem edierte man einige Detailstudien zu verschiedenen Klöstern und Kirchen Österreichs (St. Florian, Klosterneuburg, Mondsee, Deutscher Orden, Priesterbruderschaft Ferschnitz, allgemein zu den Orden der Benediktiner und Augustinerchorherren).


Das Folgeprojekt CANTUS Network. Libri ordinarii der Kirchenprovinz Salzburg beschäftigt sich mit Liturgie und Musik in der mittelalterlichen Metropolitanregion. Das auf XML-TEI basierende Editions- und Analyseprojekt hatte sich zum Ziel gesetzt, alle Libri ordinarii, mittelalterliche Regelbücher für die Liturgie, der alten Kirchenprovinz Salzburg zu transkribieren, mit TEI semantisch auszuzeichnen und in einer synoptischen Onlineedition zu publizieren. Umfangreiche Analysemethoden stehen hier ebenso zur Verfügung wie vollständige Digitalisate der Sekundärquellen (Antiphonare, Graduale, Breviere oder Missale.


Um den normativen Texten der Libri ordinarii die konkreten Musikhandschriften der liturgischen Praxis gegenüberstellen zu können, wurde begonnen, eine umfangreiche Bilddatenbank mittelalterlicher Musikhandschriften aus österreichischen Bibliotheken und Archiven aufzubauen. Aktuell stehen hier Abbildungen von etwa 100 Codices in hoher technischer Qualität zur Verfügung. Die Abbildungen können in einem auf IIIF-basierenden Bildbetrachter (Mirador) online genutzt werden.


In einem neu beantragten Forschungsprojekt sollen rund 300 Musikhandschriften aus Österreich (ohne ÖNB) untersucht und beschrieben werden. Unter diesen Quellen befinden sich viele bedeutende Denkmäler wie die Antiphonare aus Klosterneuburg (Mitte 12. Jh.), Gradualien aus St. Florian und Kremsmünster (12. Jh.) sowie ein herausragendes Graduale aus Melk (Anfang 14. Jh.). Um die große Anzahl an Quellen in kurzer Zeit bearbeiten zu können, soll die Art und Weise der Beschreibung der Codizes stark vereinfacht werden. Die Inventarisierung und Referenzierung der Inhalte soll automatisiert durch fortgeschrittene Techniken der Handwritten Text und Music Recognition (HTMR) und der Digital Humanities erfolgen.


Zusammen mit den Daten aus dem vorausgehenden Cantus Network-Projekt werden dem HTMR-Projekt umfassende normative und musik­praktische Informationen für weitgehende Analysen zum Gesangstextrepertoire und den Melodien mittelalterlicher Musikhandschriften zur Verfügung stehen.


Robert Klugseder